Johanna Send und Dr. Wolfgang Send
GbR

Die beiden Seiten einer Medaille
Schwingenflug und Hubflügel

Die nebenstehende Grafik
Sie zeigt einen grundlegenden Zusammenhang in der Physik des Fliegens. Dieser Zusammenhang betrifft den Schwingenflug der Lebewesen und das technisch bedeutsame und gefährliche Flugzeugflattern, damit auch den Vorgang der Entnahme von Bewegungsenergie aus einem Fluss beim Hubflügelgenerator.  Die Grafik ist einem unlängst veröffentlichten Artikel entnommen*). An einer vertieften Darstellung interessierte Leser und Leserinnen seien dorthin verwiesen. Für die nachfolgenden Erklärungen ist nicht so wichtig, was genau auf den Achsen dargestellt ist, weil die für die Erklärung interessanten Bereiche eingekreist sind.
In Kürze: Die horizontale Achse ist die Phasenverschiebung zwischen Schlagen (Hubbewegung) und Drehen in Winkelgrad. Der Wert von 90 Grad bedeutet, dass der Flügel in der Mitte seines Hubes (Schlages) ist, wenn die Drehung (Anstellwinkel) maximal ist. Die vertikale Achse ist das Verhältnis von Schlagamplitude zu Drehamplitude (letztere multipliziert mit der halben Flügeltiefe). Mehr dazu steht in einem Artikel auf unseren Internetseiten, der sich mit dem Mechanismus des Schwingenflugs beschäftigt.  Die Grafik ist für eine bestimmte Kennzahl berechnet, die reduzierte Frequenz heißt. Der Wert beträgt 0.15 und findet sich auch in dem Beispiel dieses Artikels zum Schwingenflug (auf Seite 15). In diesem Artikel finden sich auch die Formeln, die diese Grafik in sehr guter Näherung nachzurechnen gestatten.

*) W. Send, Der Traum vom Fliegen, Naturwissenschaftliche Rundschau, 2/2003, 65-73
   Mehr zur Physik des Fliegens: W. Send, Physik des Fliegens, Physikalische Blätter 57 (2001), 51-58
   Die Phänomene wurden erstmals von Birnbaum 1924 beschrieben, von Küssner 1936 und Theodorsen 1935 analytisch gelöst und von Send 1992 erweitert.

Zum Nachdenken: Besonders interessant ist die Grenze, bei der die Effekte Schwingenflug und Flattern "umkippen". Bei der Phasenverschiebung 90 Grad stoßen die beiden Effekte unmittelbar aneinander. Ein Tipp: Wer diesen Umschlag von einem Effekt zum anderen verstanden hat, den kann keine komplizierte theoretische Rechnung mehr schrecken. Denn eine solche Rechnung belegt nur mit Formeln und Zahlen, was man sich physikalisch sehr anschaulich klar machen kann: Wenn die Querkraft der Strömung auf den Flügel  so wirkt, dass der Flügel entgegen seiner Bewegung festgehalten werden muss (Hubflügel, Flattern), dann wird Leistung entnommen (negative Schlagleistung).  Muss man gegen die Querkraft der Strömung Leistung aufbringen, den Flügel also in Richtung seiner Bewegung mit Kraft schieben, dann ist dies die Situation, die den Schwingenflug kennzeichnet und in der Leistung aufzubringen ist (positive Schlagleistung). Damit beim Hubflügel Leistung entnommen werden kann, muss der durch Hub entstehende Abtrieb bei der Aufwärtsbewegung (!) durch einen noch größeren positiven geometrischen Anstellwinkel übertroffen werden. Strömungsmechanisch "sieht" der Flügel nur die Differenz dieser beiden Winkel. Wichtig dabei ist die richtige Handhabung der Vorzeichen: Die am Flügel aufzubringende Kraft und seine Bewegung gegnüber dem ruhenden Raum sind für das Vorzeichen der Leistung entscheidend. Diese Kraft wird in der Strömungsmechanik stets indirekt über die Reaktionskraft des Fluids berechnet. Auch hier gilt Newtons Gesetz  actio = reactio.

Was ist dargestellt?
Dargestellt sind die über eine Periode der Bewegung gemittelten Leistungen P.x für die Anströmung (x=Translation), x=Schlagen und x=Drehen. Diese sind als so genannte dimensionslose Beiwerte dargestellt. Bezogen sind die Beiwerte auf das Quadrat der Amplitude alfa0 der Drehbewegung (in Bogenmaß) und die Leistung P0 = 1/2 S rho U0 ** 3. Die jeweilige Leistung P ist dann:
 

P.x = Beiwert.x * P0alfa0 **2

In der Definition von P0  ist S die Grundrissfläche eines Tragflügels, rho die Dichte des Fluids und U0 die Flug- bzw. Anströmgeschwindigkeit. Die einzelnen Teilbilder sind folgendermaßen zu lesen: Für den Hubflügel HFG3 als Beispiel ist S = 0.76 m². Die Strömungsgeschwindigkeit des Wassers (rho = 1000 kg/m³) sei 2 m/s, also P0 = 3040 W (Watt). Der Beiwert Beiwert.Translation des Teilbildes Translation  gibt einen Wert von etwa 1 innerhalb des blauen Kreises an. Eine Amplitude von 40 Grad für den Drehwinkel ist durchaus realistisch und liegt im oberen Viertel des mechanisch einstellbaren Winkels. In Bogenmaß ist dies alfa0 = 40 * 2 pi / 360 = 0.7 (das Quadrat also 0.49). Grob gerechnet ist der Wert der Leistung  ungefähr 1500 W, der in der Strömung als entnehmbare Leistung zur Verfügung steht.

Wie ermitteln wir unsere Nennleistung von 1kW?
Würde das Teilbild Schlagen innerhalb des gleichen blauen Kreises etwas genauere Schichtlinien zeigen, würden wir dort den Wert Beiwert.Schlagen = 0.5 ablesen, der angibt, wieviel von der in der Strömung entnehmbaren Leistung tatsächlich als mechanische Schlagleistung abgeführt und in elektrische Energie umgewandelt werden kann.  Das ist die Hälfte der Translationsleistung oder 750 W.
Wir gehen weiterhin davon aus, dass der mechanisch-elektrische Wirkungsgrad der Anlage insgesamt etwa 85 % beträgt (diese Größenordnung haben wir gemessen). Die partiell lineare Kinematik bringt einen Zugewinn von 1.4, der aus den obigen Diagrammen nicht abgelesen werden kann. Damit erzielen wir bei 40 Grad Drehamplitude den Wert P.elektrisch = 750 W * 0.85 * 1.4 = 900 W. Nun ist 40 Grad Amplitude keineswegs der größte Wert, den wir einstellen können, so dass wir uns für den Wert 1 kW als Nennleistung entschieden haben. Für diese mechanische Belastung ist der Hubflügelgenerator konstruktiv ausgelegt. Der elektrische Generator kann etwa 1.3 KW Leistung liefern.

Und der Vogelflug?
Der Vogelflug findet in dem Bereich statt, wo ein Lebewesen mit seinen Muskeln Schlagleistung aufbringen muss. Es braucht dazu sehr wenig Drehleistung. Dann wird eine negative Translationsleistung erzielt. Das ist nur ein anderes Wort für Schubleistung. In dem Teilbild Wirkungsgrad ist dargestellt, wieviel Schubleistung erzielt werden kann von einem Vogel im Vergleich zur aufgebrachten Schlag- und Drehleistung. Man sieht, dass ein Vogel oder ein Insekt sehr effektiv fliegen kann. Je effektiver ein Lebewesen fliegt, desto weniger Leistung muss es aufbringen. Das sieht man, wenn man auf das Diagramm Schlagen schaut. Die größten Wirkungsgrade werden erzielt, wenn kaum noch Schubleistung aufgebracht wird.

Ist der Hubflügel genau so effektiv wie der Vogelflug?
Der Hubflügel könnte in der Tat genau so effektiv arbeiten wie ein Vogel. Dann würde die Strömung kaum gestört und fast die gesamte entnommene Energie würde in entnehmbare Schlagleistung umgewandelt. Aber: Die absolute Leistung wird dann auch immer geringer. Das wollen wir aber nicht. Wenn man die maximal mögliche Leistung entnehmen möchte, dann bleibt ungefähr die Hälfte davon als Wirbel hinter dem Tragflügel zurück. An diesem elementaren physikalischen Zusammenhang kommen wir leider nicht vorbei!